Monument eines unbekannten Menschen
Performance Gesamtvideo
New York Times
04/2024
At the Venice Biennale, the German Pavilion Undergoes a Transformation
Süddeutsche Zeitung
04/2024
Wir Heimatlosen
Zeit Online
04/2024
"Für mich kamen nur Berufe infrage, in denen ich Macht über andere Menschen hätte"
New York Times
04/2024
8 Hits of the Venice Biennale
ARTnews
04/2024
A Creepy, Entrancing German Pavilion Is This Venice Biennale’s Big Hit
The Guardian
04/2024
Armed guards, reparations and the lives of others: Venice Biennale 2024 – review
The Guardian
04/2024
Venice Biennale 2024 review – everything everywhere all at once
Zeit Online
04/2024
Selten hat der deutsche Pavillon so überwältigt
Monopol
04/2024
Was Sie in Venedig nicht verpassen sollten – und was gar nicht geht
ZDF – Aspekte
04/2024
Venedigs 60. Kunst-Biennale – Die letzte ihrer Art?
ARD – ttt
04/2024
Deutscher Pavillon: Yael Bartana & Ersan Mondtag
ARD – tagesschau
04/2024
Eröffnung der 60. Biennale in Venedig unter dem Motto "Foreigners everywhere"
ARD – tagesschau
04/2024
60. Kunstbiennale in Venedig - Im Zeichen von Ausgrenzung und Krieg
ZDF – heute Journal
04/2024
60. Biennale in Venedig eröffnet
Deutschlandfunk Kultur
09/2024
Biennale Venedig I: der Künstler Ersan Mondtag und der Deutsche Pavillon
Deutscher Pavillon
Kommissar
ifa - Institut für Auslandsbeziehungen
Kuratorin
Çağla Ilk
Dramaturg
Ludwig Haugk
Assistenzkurator
Sandeep Sodhi
Team
Künstler
Ersan Mondtag
Komposition, Soundinstallation, Dirigent
Beni Brachtel
Kostüm
Josa Marx
Künstlerischer Assistent
Lorenz Stöger
PerformerInnen
Frank Büttner, Marina Galic, Jonas Grundner-Culemann, Eva-Maria Keller, Tina Keserović sowie Arianna Addonizio, Alexandra Brett, Lucia Codolo, Asya Donadel, Marcangelo Gagliardi, Adriano Lurissevich, Michaela Mochiutti, Cristiano Moioli, Renato Nuvolazzi, Christiano Parolin
Organisation Performances
Theresa Maria Schlichtherle
Kamera/Schnitt
Felice Kaufmann
Herstellung der Kostüme in Kooperation mit dem Berliner Ensemble
SchneiderInnen
Frank Haselhorst, Carlotta Kämmer, Andreas Kluke, Judith Nikolova, Julica Petersen
Herrengewandmeisterin
Uta Rosi
Damengewandmeisterin
Anja Sonnen
Kostümbearbeitung
Svenja Niehaus
Kostümdirektorin
Elina Schnizler
Video Wohnzimmer
Regie/Schnitt
Beni Brachtel
Kamera
Gabriel Wolf
Saz und Gesang
Haci Aygün
Orchester
Münchner Symphoniker
Tonmeister Orchestereinspielung
Georg Obermayer
Aufnahmeleitung Studio Beni Brachtel
Daniel Door
Aufnahme Chor
Emanuele Wiltsch / Cosmogram
Mitschnitt Performance
Video Editing
Beni Brachtel
Kamera
Joseph Kadow, Gabriel Wolf
Unter dem Titel Thresholds erzählt der Beitrag für den Deutschen Pavillon zur Kunstbiennale in Venedig 2024 Geschichte und Zukunft aus der Perspektive verschiedener künstlerischer Positionen. Die Ausstellung läuft bis zum 24. November 2024. Die Performance wird im Kalender angekündigt.
Der faschistischen, auf Ewigkeit ausgerichteten Architektur des Pavillons setzt Ersan Mondtag ein „Monument“ entgegen, in dessen gedanklichem Zentrum die Frage nach dem kollektiven Gedächtnis steht. Was nehmen wir mit, was lassen wir zurück?
In einer tropfenförmigen Architektur mit drei begehbaren Ebenen versammelt Mondtag die Fragmente eines Lebens: Arbeitswelt, Wohnraum und öffentlicher Raum. In dieser Welt bewegen sich Figuren als Zitate eines vergangenen, nicht eindeutig zu rekonstruierenden Alltags. Es ist eine Suche im Staub nicht geschriebener Geschichte, deren Ausgangspunkt. die Biografie von Mondtags Großvater Hasan Aygün ist.
Aus einer armen, dörflich geprägten Region östlich von Ankara stammend, ging Aygün Mitte der 1960er-Jahre nach Westberlin und arbeitete über 30 Jahre in der Firma Eternit, die aus Asbest Baumaterialien fertigte. Der Aufbruch in eine Zukunft im 3000 Kilometer entfernten Berlin war für ihn die einzige Chance, einem Leben in bitterer Armut und ohne Perspektive zu entkommen. Sie wurde für ihn aber auch zur tödlichen Falle. 1993 wurde die Verarbeitung von Asbest in Deutschland endgültig verboten. Aygün starb kurz nach seiner Pensionierung an einer schweren Lungenerkrankung, die eindeutig auf das Einatmen der toxischen Fasern zurückzuführen war. Im Eingangsbereich des Monuments finden sich in einer Art Verkaufsraum neben Eternit-Blumenkübeln (einem der Verkaufsschlager der Firma und Symbol für das Wirtschaftswunder, das sich mit Gegenständen wie diesem verband) Dinge und Dokumente aus dem Nachlass von Hasan Aygün.
Von hier aus öffnet sich das Leben als begehbare Architektur, in der sich die Performer:innen und Besucher:innen frei bewegen. Dabei mischen sich realistische Details mit erfundenen Elementen und den Erzählungen anderer Biografien. Es entsteht ein Erinnerungsraum, der nicht museal, sondern konkret belebt ist. Die Erde als umkämpfter Ort territorialer Konflikte wird in Mondtags Entwurf selbst zur Migrantin.
Bereits vor dem Aufbau hat Mondtag Erde aus dem Geburtsort von Hasan Aygün in den von Maria Eichhorn 2022 geöffneten Hohlraum in das Fundament des Pavillons eingebracht eine Geste des Empowerments gegen die Reinheitsideologie der faschistischen Architektur.
Schon im Außenbereich versperrt Erde den Zugang zur Zentralperspektive, sie taucht als Element in der symbolischen Ausgrabungsstätte immer wieder auf. Mondtag mischt hier Erde aus Anatolien mit Abraum aus den Giardini. Demgegenüber steht das Parkett, das den Boden im Innenraum bedeckt. Es stammt aus einem verlassenen Kulturhaus im brandenburgischen Kirchmöser und steht für die Arbeiter-Gesellschaft der DDR. Hier – wie in der gesamten Arbeit – wird eine Brücke zwischen den Gastarbeiter:innen im Westen und den Arbeiter:innen in Ostdeutschland geschlagen. Für beide Gruppen gilt: Im westdeutsch geprägten historischen Diskurs kommen ihre Schicksale, wenn überhaupt, nur als „das andere Leben“ vor.
Indem Mondtag Motive ostdeutscher und migrantischer Arbeiter-Biografien ins Zentrum des Pavillons rückt, stellt er radikal die Frage nach Repräsentation und Erzählung auf der Schwelle zu einer Industriefolgelandschaft.
Der Titel der Arbeit rekurriert auf das Gedicht „Anleitung für die Oberen“ von Bertolt Brecht, in dem er die Praxis, „den unbekannten Soldaten“ zu ehren mit der Forderung konfrontiert, dass im Zeitalter der Industriearbeit auch dem „unbekannten Arbeiter / Aus den großen Städten der bevölkerten Kontinente / Endlich eine Ehrung bereitet“ werden müsse, dessen Spur sich in der Anonymität der Städte verliert. Einhundert Jahre nach Brechts Gedicht ist Mondtags Arbeit eine szenische Archäologie der Verheißungen dieses technischen Zeitalters und ihrer Konsequenzen. Es ist aber auch das Festhalten einer Erinnerung: an ein Leben auf der Schwelle zwischen Aufbrechen und Ankommen, ein Leben, das uns unbekannt bleibt. Die letzte Etage des Monuments gibt den Blick frei in Richtung der Gärten und in Richtung Lagune Welten, die gleichzeitig präsent und unerreichbar sind.
Fotoaufnahmen: Andrea Rossetti