Monument eines unbekannten Menschen

Deutscher Pavillon

Kommissar

ifa - Institut für Auslandsbeziehungen

Kuratorin

Çağla Ilk

Dramaturg

Ludwig Haugk

Assistenzkurator

Sandeep Sodhi

Team

Künstler

Ersan Mondtag

Komposition, Soundinstallation, Dirigent

Beni Brachtel

Kostüm

Josa Marx

Künstlerischer Assistent

Lorenz Stöger

PerformerInnen

Frank Büttner, Marina Galic, Jonas Grundner-Culemann, Eva-Maria Keller, Tina Keserović sowie Arianna Addonizio, Alexandra Brett, Lucia Codolo, Asya Donadel, Marcangelo Gagliardi, Adriano Lurissevich, Michaela Mochiutti, Cristiano Moioli, Renato Nuvolazzi, Christiano Parolin

Organisation Performances

Theresa Maria Schlichtherle

Kamera/Schnitt

Felice Kaufmann

Herstellung der Kostüme in Kooperation mit dem Berliner Ensemble

SchneiderInnen

Frank Haselhorst, Carlotta Kämmer, Andreas Kluke, Judith Nikolova, Julica Petersen

Herrengewandmeisterin

Uta Rosi

Damengewandmeisterin

Anja Sonnen

Kostümbearbeitung

Svenja Niehaus

Kostümdirektorin

Elina Schnizler

Video Wohnzimmer

Regie/Schnitt

Beni Brachtel

Kamera

Gabriel Wolf

Saz und Gesang

Haci Aygün

Orchester

Münchner Symphoniker

Tonmeister Orchestereinspielung

Georg Obermayer

Aufnahmeleitung Studio Beni Brachtel

Daniel Door

Aufnahme Chor

Emanuele Wiltsch / Cosmogram

Mitschnitt Performance

Video Editing

Beni Brachtel

Kamera

Joseph Kadow, Gabriel Wolf

Unter dem Titel Thresholds erzählt der Beitrag für den Deutschen Pavillon zur Kunstbiennale in Venedig 2024 Geschichte und Zukunft aus der Perspektive verschiedener künstlerischer Positionen. Die Ausstellung läuft bis zum 24. November 2024. Die Performance wird im Kalender angekündigt.

Der faschistischen, auf Ewigkeit ausgerichteten Architektur des Pavillons setzt Ersan Mondtag ein „Monument“ entgegen, in dessen gedanklichem Zentrum die Frage nach dem kollektiven Gedächtnis steht. Was nehmen wir mit, was lassen wir zurück?

In einer tropfenförmigen Architektur mit drei begehbaren Ebenen versammelt Mondtag die Fragmente eines Lebens: Arbeitswelt, Wohnraum und öffentlicher Raum. In dieser Welt bewegen sich Figuren als Zitate eines vergangenen, nicht eindeutig zu rekonstruierenden Alltags. Es ist eine Suche im Staub nicht geschriebener Geschichte, deren Ausgangspunkt. die Biografie von Mondtags Großvater Hasan Aygün ist.

Aus einer armen, dörflich geprägten Region östlich von Ankara stammend, ging Aygün Mitte der 1960er-Jahre nach Westberlin und arbeitete über 30 Jahre in der Firma Eternit, die aus Asbest Baumaterialien fertigte. Der Aufbruch in eine Zukunft im 3000 Kilometer entfernten Berlin war für ihn die einzige Chance, einem Leben in bitterer Armut und ohne Perspektive zu entkommen. Sie wurde für ihn aber auch zur tödlichen Falle. 1993 wurde die Verarbeitung von Asbest in Deutschland endgültig verboten. Aygün starb kurz nach seiner Pensionierung an einer schweren Lungenerkrankung, die eindeutig auf das Einatmen der toxischen Fasern zurückzuführen war. Im Eingangsbereich des Monuments finden sich in einer Art Verkaufsraum neben Eternit-Blumenkübeln (einem der Verkaufsschlager der Firma und Symbol für das Wirtschaftswunder, das sich mit Gegenständen wie diesem verband) Dinge und Dokumente aus dem Nachlass von Hasan Aygün.

Von hier aus öffnet sich das Leben als begehbare Architektur, in der sich die Performer:innen und Besucher:innen frei bewegen. Dabei mischen sich realistische Details mit erfundenen Elementen und den Erzählungen anderer Biografien. Es entsteht ein Erinnerungsraum, der nicht museal, sondern konkret belebt ist. Die Erde als umkämpfter Ort territorialer Konflikte wird in Mondtags Entwurf selbst zur Migrantin.

Bereits vor dem Aufbau hat Mondtag Erde aus dem Geburtsort von Hasan Aygün in den von Maria Eichhorn 2022 geöffneten Hohlraum in das Fundament des Pavillons eingebracht eine Geste des Empowerments gegen die Reinheitsideologie der faschistischen Architektur.

Schon im Außenbereich versperrt Erde den Zugang zur Zentralperspektive, sie taucht als Element in der symbolischen Ausgrabungsstätte immer wieder auf. Mondtag mischt hier Erde aus Anatolien mit Abraum aus den Giardini. Demgegenüber steht das Parkett, das den Boden im Innenraum bedeckt. Es stammt aus einem verlassenen Kulturhaus im brandenburgischen Kirchmöser und steht für die Arbeiter-Gesellschaft der DDR. Hier – wie in der gesamten Arbeit – wird eine Brücke zwischen den Gastarbeiter:innen im Westen und den Arbeiter:innen in Ostdeutschland geschlagen. Für beide Gruppen gilt: Im westdeutsch geprägten historischen Diskurs kommen ihre Schicksale, wenn überhaupt, nur als „das andere Leben“ vor.

Indem Mondtag Motive ostdeutscher und migrantischer Arbeiter-Biografien ins Zentrum des Pavillons rückt, stellt er radikal die Frage nach Repräsentation und Erzählung auf der Schwelle zu einer Industriefolgelandschaft.

Der Titel der Arbeit rekurriert auf das Gedicht „Anleitung für die Oberen“ von Bertolt Brecht, in dem er die Praxis, „den unbekannten Soldaten“ zu ehren mit der Forderung konfrontiert, dass im Zeitalter der Industriearbeit auch dem „unbekannten Arbeiter / Aus den großen Städten der bevölkerten Kontinente / Endlich eine Ehrung bereitet“ werden müsse, dessen Spur sich in der Anonymität der Städte verliert. Einhundert Jahre nach Brechts Gedicht ist Mondtags Arbeit eine szenische Archäologie der Verheißungen dieses technischen Zeitalters und ihrer Konsequenzen. Es ist aber auch das Festhalten einer Erinnerung: an ein Leben auf der Schwelle zwischen Aufbrechen und Ankommen, ein Leben, das uns unbekannt bleibt. Die letzte Etage des Monuments gibt den Blick frei in Richtung der Gärten und in Richtung Lagune Welten, die gleichzeitig präsent und unerreichbar sind.

Fotoaufnahmen: Andrea Rossetti

Zeitraum

17. April 2024 – 24. November 2024

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